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Wo ist Minchen?

Helga Rougui

Onkel Ewald lehnte sich im Sessel zurück, zog Antje, die Mutter aller Jagddackel, auf seinen Schoß und begann genüßlich an ihren Zitzen herumzupressen.
- Milchstau, erklärte er der gleichermaßen erstaunten wie erstarrten Verwandtschaft rundherum, eingebildete Schwangerschaft. Da haben die schon mal Milchstau. Muss man ihnen helfen.
Er tauchte den Finger in sein Whiskyglas und ließ Antje daran nuckeln.
- Mag sie gerne - betäubt ihre Schmerzen.

Mein Papa lehnte sich ebenfalls zurück und zündete sich eine Zigarette an. Schön gepflegt im Filter, orientalischer, leicht süßlicher Tabak. Er schaute mich an, kniff mir ein Äugsken und ich wusste – wenn die Verwandten weg wären, hätte ich ein Anrecht auf einige bissige Kommentare über Finger, die an Zitzen herumknibbelten und anschließend in Whiskygläser fuhren, der dann natürlich noch getrunken wurde. Nicht, daß wir pingelig gewesen wären in der Familie. Auf einer unserer Italienreisen, in Potenza, fiel dem Wirt vor unseren Augen das zu servierende Brot auf den Boden, und wir schauten mit großen Augen, wie er es geschmeidig aufhob und ins Körbchen legte und uns an den Tisch brachte. Und wir aßen dieses Brot und lachten uns kaputt dabei.
So lernte der Deutsche der Sechziger auf Reisen seine Pimpeligkeit zu verlieren. Und die folgenden Jahrzehnte hieß es bei uns, immer wenn einem von uns ein Lebensmittel auf den Boden fiel: „potenzanische Sauberkeit“- und wir hoben es auf und aßen es.

Aber ich schweife ab.
Genau wie mein Onkel an jenem Abend, einem Heiligabend in den Siebzigern, als wieder einmal die ganze Familie zusammengekommen war – damals noch vollständig und nicht durch gräßliche Krankheiten dezimiert, von denen wir uns damals noch keine Vorstellung machten.
Wie immer hatte meine Mutter viel zu viele Steaks gebraten, riesige weich verlaufende Klöße hergestellt, mehrere feiste Mayonnaisesalate entdeckelt – es gab Kleinigkeiten zum Knabbern, für meinen Vater eine Platte mit Bratwürsten, da er Steaks nicht mochte, es gab mehrere immense Brocken schönen fetten Käses, da waren Wurst- und Schinkenplatten, wie man das aus Hessen, der Heimat meiner Eltern, gewohnt war, es gab Räucherlachs in Kilogrammlagen und natürlich mehrere Sorten Brot und Brötchen mit Butter, Mixed Pickles, Gürkchen und Töpfe mit Herings- und Fleischsalat.
Es hätte ja sein können, daß wir ohne all diese Nahrung verhungert wären bis zum Weihnachtsmittagessen am ersten Weihnachtsfeiertag, wo meine Mutter trditionell eine riesige Pute briet. Unbezwingbar schien uns das Tier und wir aßen daran vierzehn Tage lang, und ich erinnere mich an an das strahlende Gesicht der Köchin, die hinter dieser Pute thronte und sich freute, daß sie nie mehr wieder würde hungern müssen nach dem elenden Krieg, der Körper und Geist bis auf das Minimum ausgepresst hatte.

Aber ich schweife ab.
Also, wir saßen am Heiligabend nach dem Abendessen beisammen, die Kusinen tranken Eierlikör, mein Vater sein Bier, meine Oma tat in ihren Amselfelder ein wenig Süßstoff, da er sonst zu sauer wäre, meine Schwester und ich freuten uns an dem Rotwein, den wir uns selber mitgebracht hatten, da fing mein Onkel plötzlich an, von seiner Jagd zu erzählen.
Mein Onkel war ein begeisterter Jäger, er hatte sein Haus und seine Firma im Sauerland, und dort hatte er auch eine Jagd gepachtet, und neben seinem Boot und seinen Aquarien war es sein liebstes Hobby, sein Glück bei dieser Art Sport zu versuchen.
So auch eines Tages im letzten Herbst, so erzählte er, als er wieder einmal losgezogen war, um ich weiß nicht welches Tier, das gerade nicht unter Jagdschutz stand, zu erledigen. Ich glaube, es drehte sich sogar nur um Kaninchen, und die durfte man immer, während es bei Rehen und ähnlichem Getier doch gewisse Beschränkungen gab? - nun, er zog los, in den Wald, und es raschelte im Unterholz – er legte an, zielte und drückte ab, und das Kaninchen war erlegt und Antje, der Profidackel, apportierte – doch leider kein Kaninchen, sondern Felis catus, die gemeine Hauskatze, und das war nun keine Beute, die man zum Mittagessen braten konnte. Sicher kam sie aus dem an die Jagd angrenzenden Wohngebiet und sah sich nun durch die Tat meines Onkels in ihrem Morgenspaziergang abrupt unterbrochen.

Und ich sah, während mein Onkel seine Anekdote erzählte, in meiner Schwester Gedanken in Leuchtschrift das Wort „Katzenmörder“ aufblinken, und sie dachte laut in ihrem Geiste:  „…die arme Katze!!!“. Meine Schwester liebt die Tiere mehr als die Menschen, und in diesem Moment hätte sie lieber meinen Onkel tot gesehen als die Katze.

Nun war aber die Katze tot, und mein Onkel sagte, er bedauere den Vorfall, denn er wolle ja nun nicht eigentlich Katzen jagen und das ganze sei ein Irrtum gewesen und tue ihm leid, nur sei er halt ein begnadeter Schütze, der das Jägerhandwerk vollendet ausführe mit meist letalem Ausgang für die Beute - wenn sich etwas im Unterholz bewege, lege er an und habe fast stets Erfolg, aber leider habe diesmal sowohl die Katze als auch er Pech gehabt, wegen des fehlenden Sonntagsbratens.

Was in meiner Schwester in diesem Moment für ein Film ablief, ich möchte ihn nicht gesehen haben. Ich liebe keine Filme mit Gewalttätigkeiten.

Aber die Geschichte, die mein Onkel erzählte, ging weiter.
Einige Tage später, als er - diesmal ohne Gewehr und aus anderem Grunde - wieder zu seinem Wagen ging, der in der Nähe seiner Jagd abgestellt war, traf er eine Frau, die in der Siedlung wohnte und die ihn fragte, ob er denn ihre Katze gesehen habe. Sie suche bereits seit einigen Tagen nach ihr und Minchen sei noch nie so lange fortgewesen und sie mache sich inzwischen große Sorgen.
Und da gäbe es ja immer auch die Jäger hier in der Gegend, die gar nicht darauf achteten, was sie da nun letztlich erlegten, Hauptsache Schuß und Treffer und Beute, nicht wahr. Sie schaute meinen Onkel mit tränenfeuchten Augen an und sagte, hoffentlich geht es meinem Minchen gut,  ich vermisse sie so sehr, es ist immerhin schon die vierte Katze, die nicht mehr nach Hause gekommen ist.
Mein Onkel erwiderte, ja, diese Jäger seien tatsächlich furchtbar rücksichts- und skrupellos, und ihrem Minchen gehe es sicher gut, und dass sie ganz bestimmt zurückkommen werde.

Diese Entwicklung fand meine Schwester nun ganz furchtbar -  „… die arme Frau!!“ - sie hatte ihre Katze, ihr Ein und Alles, verloren, und das auch noch zu wiederholten Malen, und darüber hinaus hatte sie vertrauensvoll und ahnungslos mit dem Mörder mindestens einer ihrer Lieblinge gesprochen, der ihr kaltschnäuzig sein Mitgefühl vorgeheuchelt hatte.

Auch die Erklärung meines Onkels, daß Katzen sich nun mal im Wald nicht frei bewegen dürften und besser über einen bestimmten Umkreis um bewohntes Gebiet herum nicht hinausgingen, daß sie im Wald den Jungvögeln gefährlich würden und demnach als schädliche Wilderer anzusehen seien, fruchtete nichts.

Für meine Schwester war der Abend gelaufen – sie hatte sozusagen „Katzenjammer“ in einer speziellen Variante.
Mein Vater aber zog versonnen an seiner Zigarette, schaute den Rauchkringeln nach und grinste sich eins.
Und ich wußte, unsere unentwegt mündlich tradierte Familienchronik war wieder um eine demnächst mit spitzer Zunge zu erzählende Geschichte reicher, dank der tödlichen Technik eines fehlgeleiteten Jagdgewehrs.

 

Ein Bericht

Helga Rougui

Warum die Erde nie von (sehr winzigen) Außerirdischen besiedelt wurde.

Ein Bericht.

Sie landeten weich, zu weich für des Kommandanten Geschmack.

Aber um den Geschmackssinn ging es gar nicht, nein, ein intensiver Gestank nach Kacke verbreitete sich im Flieger HX2o0, so daß sämtliche Geruchssinne voll beschäftigt waren. Hero von Leander, der rauschebärtige Kommandant, fluchte laut – was ist das für ein Navigationssystem, das uns ausgerechnet in kackeähnlicher Masse landen läßt? - und wie groß muß ein Hund, so es denn ein Hund war, auf diesem kürzlich frisch georteten Planeten sein, um solch einen Riesenhaufen zu hinterlassen?

Das eher kleine Häuflein Abenteurer, Beutelschneider, Intriganten, Nymphomanen und sonstige verurteilenswerte Kleinkriminelle scharte sich um seinen Anführer, und alle zusammen bewegten sich zur Einstiegsluke, die jetzt eine Ausstiegsluke wurde. Die Gasmaskenrüssel baumelten vor ihren Gesichtern, dankenswerterweise milderten sie die infernalischen Dämpfe soweit ab, daß wenigstens sehr, sehr flach geatmet werden konnte.

Über das Aussteigemanöver hat das Sterntagebuch der HX2o0 kein einziges Wort verloren, allein eine spätere Notiz in ihren Bestellformularen - " Komplett neue Anzüge plus Gasmasken in Neonrosa für die gesamte Besatzung" - ließ erahnen, welch apokalyptisches Ausmaß die erste Begehung des neuentdeckten Planeten gehabt haben mußte.

Insgesamt handelte es sich um einen sehr kurzen Ausflug, keiner hatte, da auch die Sichtfelder der Helme in Nullkommanix völlig verschmiert waren, so recht was wahrnehmen können. Also wurde zum Rückzug geblasen und die HX2o0 steuerte die nächste intergalaktische Waschstraße – natürlich mit Innenraumreinigung - an, bevor ihr Kommandant auf dem Heimatplaneten einen sehr leisen Bericht erstattete.

Frisch gewaschen und umfassend ausgerüstet machte sich die Mannschaft ein zweites Mal auf den Weg.

Das Navi wurde so programmiert, daß es unbedingt auf einer festen Fläche zu landen hätte, und alles funktionierte diesmal soweit ganz prächtig. Eine sehr weiße, glitzernde Landebahn kam in Sichtweite, als die HX2o0 sich aus dem Extraplanetohoppsermodus materialisierte, vorsichtig setzten die Füßchen des Fliegers auf und – kwischschschtttttt – rutschte er wie ein Eiskegel mindestens dreißig Zentimeter die halbgefrorene Pfütze entlang, um in einer kleinen bitterkalten Restwasserlache zum Stehen zu kommen. Die Crew und ihr Kommandant, die sich auf der Brücke versammelt hatten, begutachteten die bläuliche, eintönige Fläche, die kein Ende zu nehmen schien. Das Sterntagebuch verzeichnete, dass ein Kundschafter ausgesandt wurde, der, als er sich durch die Ausstiegsluke hatte auf den Boden fallen lassen, sofort an beiden Stiefeln festgefroren dastand und keinen Schritt vorwärts tun konnte. Also warf man ihm ein Seil zu und zog ihn wieder ins Innere. Zurück blieben zwei mit der Eisfläche verwachsene Stiefel und ein pinker Socken mit blauen Punkten, der sich in dem einen der Gehwerkzeuge verhakt hatte.

Auch dieser Bericht des Kommandanten bei der ODB fiel sehr, sehr leise aus.

Die ODB, die Oberste Discovery Behörde, war sich nach diesen zwei Versuchen langsam aber sicher nicht mehr sehr sicher, ob es sich lohne, einen solchen Planeten, der sich ihnen gegenüber so unfreundlich benahm, zu erforschen, geschweige denn zu besiedeln. Auch Orla von Orbit, die Leiterin der Behörde, begann die Lust am Vorhaben zu verlieren. Sie war schließlich direkt betroffen, war sie doch diejenige, die die vom Kommandanten in Flüsterstimme abgegebenen Berichte aufschreiben und schönen mußte, die an die Elektrolesewände in den Wohnziummern weitergegeben wurden. Weiter hatten mehrere ranghohe Mitglieder der ODB in der ODB-Kantine die Vermutung geäußert, daß irgendwo in den Berechnungen ein Fehler stecken mochte und daß es hier um die grundsätzliche Unvereinbarkeit von Größenverhältnissen ging, aber bewiesen war das natürlich keineswegs und so wurde missmutig ein drittes Mal Hero von Leander ausgeschickt, um mit seinen Jungs weitere Erfahrungen auf dem schon zweimal anvisierten Planeten zu sammeln.

- Wo werden wir diesmal landen? grummelte Hero in seinen frischgewaschenen Bart. In einer Kaffeetasse? Auf der Zunge einer Kuh?

- Also ich gehe auf keinen Fall wieder als erster raus, ließ sich Jörg der Stahlharte vernehmen, das letzte Mal habe ich einen Socken von meinem Lieblingspaar eingebüßt, das mir meine Mami gestrickt hatte zum Schutz gegen den grauen Monat November…

Die anderen Mitglieder der Crew nickten beifällig – auch sie mochten den November nicht und konnten den Seelenschmerz von Jörg gut verstehen.

Dem Navigator, der inzwischen in das Navi "Zunge einer Kuh" eingegeben hatte, wurde noch soeben das Gerät entwunden und die Eingabe wurde für ungültig erklärt. Hero seufzte bekümmert. Wenn sie doch mal endlich wo landen könnten, wo es ein bisken nett wäre – er dachte da an ein paar Extraurlaubstage nach den beiden Misserfolgen, irgendwo, wo man sich in Flip Flops von den bisherigen Flops erholen könnte, wäre das nicht was?

Spielerisch formten seine strammen Fingerkuppen auf den Tasten des Navi das Wort "Paradies".

Und ab ging die Post, sozusagen.

Hero von Leander lag mit verschrumpelten Fingerkuppen in einer Riesenbadewanne, die von mohnduftendem Badeschaum überquoll. Er hörte eine CD von Udo Jürgens auf seinem iPod, während leichtgeschürzte Jünglinge ihm den Bart kämmten und lila Lilien hineinflochten.

Nicht weit davon genoß Jörg der Stahlharte eine verweichlichende AloeVera-Fußmassage, ausgeführt von einer blondgelockten zartgliedrigen Staatsanwältin, während neben ihm ein Heidi-Klum-Klon neue Socken in seinen Lieblingsfarben für ihn strickte.

Let-me Hang der Pirat aber hing kopfüber an einer Schaukel und sog durch einen Riesenstrohhalm aus einem Zehnliterbottich, der auf dem Boden stand, ein Gemisch aus Rum und Vanilleeiskrem in sich hinein, während seine Äuglein vor Vergnügen schweinisch glänzten.

Marius genannt das Seemonster schließlich wurden gerade die Schwimmhäute lindgrün lackiert – auch eine Veilchengesichtspeelingmaske für seine Gurkennoppenfresse blubberte bereits in einem gußeisernen Riesentiegel vor sich hin.

Der Rest der Mannschaft, weit weniger phantasiebegabt als diese vier, lag eher traumlos im bleiernen Kälteschlaf, während die Zeit auf der Zeituhr lief und lief und lief, denn das Paradies war ein sehr weitgestecktes Ziel und nur in Jahrhunderten zu erreichen.

Kurz bevor er wegnickte, hatte sich Hero von Leander noch freudig gedacht, daß angesichts des langen Weges hin und zurück immerhin ganz andere Mitglieder der ODB ein Empfangskomitee bilden würden, und so brauchte er wenigstens nicht mehr dieser nervigen Orla von Orbit seinen wie auch immer gearteten Bericht zu erstatten.

Es hatte alles auch sein Gutes. So dachte er.

Fünf Jahrhunderte waren vergangen, und der Flieger HX2o0 näherte sich dem Zielort.

Wären die Mannschaftsmitglieder nebst Chef nicht so feste am Pennen gewesen, hätten sie ein erstes Hinweisschild erblicken können, auf dem in goldenen Buchstaben der Satz "This is the way to paradise - I think" eingraviert war. Der leichte Vorbehalt, der in dem Satz anklang, hatte nach fünf Jahrhunderten jegliche Bedeutung verloren, die Sensoren des Fliegers nahmen nur das Wort "paradise" wahr und begannen den Auftauprozeß. Nachdem alle vollständig erwacht, abgetrocknet, gekämmt, rasiert (außer Hero) und bekleidet (außer Marius) waren, drängten sie sich auf der Brücke, begierig zu sehen, was die Aussicht bot.

Das war es nun, das Paradies? Und gleich würden sie landen.

Orla von Orbit legte den Organiscriptor aus der Hand. Ihr sechshundert Jahre alter runzliger Hals ruckte vor und zurück, bevor sie ihr Glas mit dem vor fünfhundert Jahren erfundenen Ewigkeitssaft bis zur Neige trank.

So weit waren sie mit ihrer Hilfe nun gekommen, die Mitglieder der Mannschaft der EUZE – der Ersten Und Zweiten Expedition – und weit genug weg waren sie jetzt tatsächlich auch für ihren Geschmack, hatte sie doch nach der letzten Berichtssitzung mit Hero von Leander, als sie versucht hatte, diesem an die Wäsche zu gehen, den ununterdrückbaren Drang verspürt, ihn Jahrhunderte weit weg zu wünschen, so peinlich war ihr seine Ablehnung gewesen. Aber nun hieß es den Leuten klarzumachen, daß irgendein Paradies irgendwo existent war oder nicht, und wenn einer zu Hause jetzt vor seiner Elektrolesewand hockte, wollte er kein Rumgedruxe und nun endlich wissen, wo die berühmte Mannschaft abgeblieben war.

Orla griff wieder zum Organiscriptor und fuhr fort zu schreiben:

- Wie mir Hero von Leander in einem sehr privaten, sehr leisen Bericht mitteilte, war das vorgefundene Paradies von grüner Farbe und durchsichtiger Konsistenz. Als der Flieger HX2o0 aufsetzte, wwackelte es wie ein WWackelpudding nur wwackeln kann, später entsprangen dem Berg sahnige Vanillebächlein, und Riesenamarenakirschen kullerten aus unterirdischen Verliesen. Im Austausch dazu kullerten die Männer dort hinein und trafen auf reifliche Kullerpfirsiche und Essigpflaumen, und da es in allen Eingeweiden nach mehrhundertjährigem Schlaf immens kullerte, unterzogen sie sich einer paradiesisch purgierenden Obstkur, um leichtbeschwingt in etwa zwölfeinhalb Minuten wieder zu unserem geliebten Heimatplaneten zurückzukehren. Vorgeschlagen wird hiermit die

Aufnahme der Mannschaft in den multigalaktischen Zirkel als EUZUDE.

Und so kam es, daß die Mannschaft und ihr heldenhafter Kommandant, der edle Hero von Leander, mit der Ehrenbezeichnung EUZUDEMDR - Erste Und Zweite Und Dritte Expedition Mit Dem Rauschebärtigen - benannt wurden, während die Elektrolesewände auf dem gesamten Heimatplaneten die NDG – die Neuen Drei Grundsätze - verkündeten:

Erstens: Der vormals mehrmals anvisierte Planet ist Kacke-Eisbahn-Glibberpudding und damit besiedlungsresistent.

Zweitens: Das Paradies an sich gibt es nicht - I think.

Drittens: Strengt euch an und kommt gefälligst mit dem klar, was vor eurer Nase liegt.

Wunderschön bist du…

Helga Rougui

Es war einmal … eine sehr sehr alte graue dicke Landschildkröte, die lebte in den heißen, staubigen Hügeln des Taygetos. Sie war die letzte ihrer Familie, und sie lebte allein.

Des Morgens erwachte sie zeitig, wedelte sich den Morgentau vom Stummelschwanz, frühstückte das eine oder andere Kräutlein und machte sich dann zu ihrem Morgenspaziergang auf, der sie an eine frische Quelle führte, an der sie ihren Durst stillte. Dann kroch sie langsam zurück zu ihrer Höhle und widmete sich ihrer Lieblingstätigkeit: sie dachte nach.

Sie dachte nach über die Sonne, den Regen, die Steine, den Staub, die Gräser und die Kräuter, sie dachte nach über das Woher und Wohin und über das Leben und die Liebe. Auch sie hatte einst die Liebe gekannt, aber nun hatte sie sich an das Alleinsein gewöhnt und war ihres Alltags zufrieden.

Eines Tages gegen Mittag, als die Sonne am höchsten stand und die sehr sehr alte Schildkröte nach dem Mittagsgras in der Hitze döste, sah sie etwas Goldenes vor ihren Augen vorbeiflirren. Sie blinzelte und erblickte einen goldenen Pirol, der sich vor ihr aufgeplustert hatte und sie, das Köpfchen geneigt, mit trillernden Tonkaskaden begrüßte:

- Wunderschön bist du, o mächtige Kröte, ich liebe deine imposante Gestalt und deinen feingezeichneten Panzer.

Da wurde es der Kröte warm ums Herz, und sie verliebte sich in das goldene Gefieder des Pirols und in seine eisblauen Augen.

Nun begann eine schöne Zeit. Die beiden trennten sich nie. Sie frühstückten miteinander, gingen und flogen zusammen zur Quelle, und dann tirilierte der Pirol, und die sehr sehr alte Schildkröte dachte über den schönen Gesang ihres Freundes nach, und manchesmal versuchte auch sie zu singen, und der Pirol dachte darüber nach, was für eigenartige Töne eine singende Schildkröte zustandebringen konnte. Und dann kam die Nacht, und der Pirol kuschelte sich in die Halsbeuge der Kröte, und sie schliefen zufrieden ein, um einen gemeinsamen neuen Tag zu erleben.

Mit der Zeit allerdings mußte sich die sehr sehr alte Landschildkröte eingestehen, daß der Pirol immer unruhiger wurde. Sein Gefieder wurde stumpf und seine Lieder einfallslos. Er flog auch öfter weg, und wenn er wiederkam, war er meist etwas zerstreut und nicht so ganz bei der Sache, wenn es ums Tirilieren oder Nachdenken ging.

So konnte es nicht weitergehen. Eines Abends faßte sich die sehr sehr alte Landschildkröte ein Herz – das einzige, das sie hatte und von dem sie ahnte, daß es gleich gebrochen würde – und fragte den Pirol, warum sich alles unmerklich verändert habe. Der Pirol zögerte zuerst, denn er wollte seiner Freundin nicht wehtun, aber dann gestand er, er habe im nächsten Tal eine sehr alte Schildkröte getroffen, für die er von nun an gerne singen wolle. Auch sie war nicht jung, aber eben nicht sehr sehr alt, sondern nur sehr alt, und mit ihr wolle er ein gemeinsames Leben versuchen.

Da weinte die sehr sehr alte Landschildkröte ein bißchen, aber sie wußte auch, daß man den Lauf des Lebens nicht aufhalten kann, und sie bewahrte ihre Würde und wünschte dem Pirol alles Gute und ließ ihn ziehen.

Als er fort war, weinte sie noch einmal ein bißchen, und dann öffnete sie der Einsamkeit erneut die Tür zu ihrem Leben und bat sie herein.

Die Tage zogen vorbei, Sonne wechselte mit spärlichem Regen, die Kräuter wuchsen und wurden gefressen, der Winterschlaf kam und der neue Frühling zog herauf.

Eines Morgens im Mai machte sich die sehr sehr alte Landschildkröte wieder einmal auf den Weg zur Quelle, um ihren Morgentrunk zu nehmen. Dort angekommen, sah sie am Rand des Wassers eine schlanke grünglänzende Smaragdeidechse sitzen, die sie mit ihren nachtschwarzen Augen heiß ansah und zu ihr sprach:

- Guten Morgen, wunderschöne Kröte! Ich liebe deine erlesene Gestalt….

 

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