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Eine Weihnachtsgeschichte - nein, zwei

Anfang Dezember erinnerte sich Gott an die Menschen und an den Geburtstag seines Sohnes, der bald gefeiert werden sollte, und anstatt zu denken, wie es unter ihm auf der Erde vielfach geschah: "Oh je, ich habe ja noch gar kein Geschenk für ihn", freute er sich, daß sein Sohn gesund und munter neben ihm auf dem Himmelsthron saß - war er nicht selbst das beste Geschenk ever?

Gott schaute zerstreut auf das unter ihm stattfindende Gewimmel, und plötzlich hörte er in dem Gemurmel all dieser Wesen Genaueres. Sie sagten gar nicht, sie hätten kein Geschenk für IHN, der hier oben neben seinem Vater saß, sondern sie hatten noch nichts für Beate, Eva, Fridolin, Kevin, Florian, Chantal und Frau Meier, und so ging es weiter mit unendlich vielen Vornamen und Namen, die durch die Köpfe der Menschlein blitzten.

Gott überlegte - hatte er da was verpaßt? War die Bibel umgeschrieben worden? Wenn dem so war, ginge es in der Krippe aber ziemlich übervölkert zu. Was ebenfalls ein Grundproblem dieses Planeten war, wie er sich vage erinnerte - hatte er ihnen denn nicht schon Corona und den Ukrainekrieg geschickt, in der Hoffnung, dieses Phänomen möge sich in Wohlgefallen auflösen?

Gott rief sich zur Ordnung - was hatte es auf sich mit den Geschenken und den vielen Namen, die nicht die seines Sohnes waren? Und er begriff - es ging den Menschen gar nicht darum, die Geburt Jesu zu feiern, sondern sie feierten sich selbst - sie dachten nur an sich und an ihre Nächsten gar nicht mehr.

Und er, der Schöpfer des Himmels und der Erden, unterstützte das auch noch, indem er ihnen jedes Jahr den Weihnachtsmann sandte mit Säcken voller Geschenke, die großzügig verteilt wurden, natürlich sofort ausgepackt werden mußten, dann mußte die Gebrauchsanweisung gelesen und das neue Spielzeug ausprobiert werden, nebenbei wurden noch eine Gans und ein Karpfen verschlungen und nach der dritten Flasche Champagner war jeder zu faul und zu vollgefressen, um den Mitternachtsgottesdienst zu besuchen.

Gott schüttelte den Kopf. Gerade eben hatte er den Weihnachtsmann gesehen, wie er seinen Wagen mit den Geschenkesäcken in den Aufzug geschoben hatte, der sich alsbald Richtung Rentierschlittenplattform in Bewegung setzte. Gleich würde das große Verteilen losgehen.

Und Gott faßte einen Entschluß. Dank seiner göttlichen Willenskraft brachte er den Aufzug, der sich in voller Fahrt befand, abrupt zum Stehen, und da er von Technik mehr verstand, als mancher glauben wollte, veränderte er die eingebaute Elektronik derart, daß erst lange nach Silvester der Fehler gefunden werden und sich der Aufzug wieder in Bewegung setzen konnte.

Man würde den Weihnachtsmann finden, wohlausgeruht durch vierzehn Tage erholsamen Schlaf und mit zehn Kilo mehr auf den Rippen, reichlich gesättigt durch die leckeren Lebkuchen und Liköre, die sich überall in den Geschenken befanden.

Und kein Geschenk hatte die erreicht, für die sie bestimmt gewesen waren.

Und die Menschen? Sie saßen am Heiligabend ohne Geschenke unter dem Weihnachtsbaum und drehten zunächst einmal Däumchen. Dann hob einer den Kopf und erblickte zum ersten Mal seit langem sein Gegenüber, und sie sprachen und sangen miteinander, und viele Mißverständnisse wurden ausgeräumt, viele Wahrheiten wurden gesagt und entgegengenommen, und sie sahen, daß keiner dem anderen etwas voraus hatte und daß der goldene Löffel im Mund aus niemandem einen besseren Menschen machte.

 

Epilog

 

Jesus hatte still neben Gott gesessen und die Gedankengänge und Entscheidungen seines Vaters verfolgt. Er hatte auch gesehen, wie die Menschen erst stutzten und dann sozusagen zu sich kamen, wie sie sich einander und damit dem eigentlichen Sinn des Weihnachtsfestes, seines Geburtstages, wieder annäherten.

Das freute ihn.

Und trotzdem -

Er erinnerte sich, wie er damals in seiner Krippe gelegen hatte, weich gebettet auf ein Batisttuch, das über frisches Stroh gebreitet war, und wie er seiner Mutter in die Augen geschaut hatte, die vor Liebe leuchteten. Neben seinem Bettchen stand Josef, der sich auf seinen Wanderstock stützte und auf die kleine Familie achtgab. Und dann kamen sie, Caspar, Melchior und Balthasar, und überreichten ihre Geschenke, und er erinnerte sich, wie sie dufteten und glitzerten und wie er krähte vor Entzücken.

Weihnachten, das Fest der Liebe, das Fest der Familie, das Fest der Kinder, die sich auf ihre Geschenke freuten das ganze Jahr.

Und Jesus sagte sich : "Mein Vater wollte ganz sicher die Kinder nicht enttäuschen ...", und er schickte den Erzengel Michael mit dem zweiten großen Karren Geschenke, der noch im Lager wartete, hinunter zu Erde, damit er in allen Kinderzimmern kleine, hübsche Gaben verteilte, an denen die Kinder ihre Freude hatten.

Und der Heilige Geist schwebte über allem und dachte sich - das haben wir drei gut gemacht.

 

Fröhliche Weihnachten!

 

 

 

 

Lieb und teuer

"Wie soll Ihr Kleid sein?"

"Viel Tüll und Spitze und natürlich Glitzer."

Nun steht sie da in ihrem weißen Brautkleid, das über und über mit glitzernden Silberfäden durchwirkt ist. Sie kann sich kaum rühren an diesem schönsten Tag ihres Lebens; der schwere bestickte Stoff umgibt sie wie ein Panzer die Galapagosschildkröte.

Nicht nur das Kleid, auch eine Träne glitzert in ihrem Augenwinkel. Es ist zehn nach vier, die Trauung war für vier Uhr angesetzt, und Georg ist noch nicht da. So etwas passiert doch nur im Film, daß der Bräutigam nicht erscheint. Sie ist doch nicht Carrie Bradshaw, und ihr Georg ist nicht Mr. Big, sie haben sich schnell gefunden, haben sich verliebt und beschlossen, ihr Leben gemeinsam zu verbringen, und nun warten vierzig Gäste in der Kirche, und sie steht vor dem Kirchenportal mit ihrem Vater, und sie warten, und nichts geschieht.

Heloise zögert nicht mehr. Wenn es nicht sein soll, dann soll es halt nicht sein. Sie wendet sich zu ihrem Vater und will ihm gerade ihren Entschluß mitteilen, als ein Porsche in rasender Schnelligkeit aus der Seitenstraße schießt und mit quietschenden Bremsen vor der Kirche hält. Heraus springt Georg und eilt auf sie zu.

"Entschuldige, Liebling, da bin ich! Nicht weinen! Ich hatte etwas Wichtiges vergessen -"

Dann zieht er aus seiner Jackentasche ein glitzerndes Brillantcollier, Diamanten reinsten Wassers, und legt es ihr um den Hals.

"Das Collier meiner Mutter, das sie zu ihrer Hochzeit trug. Du sollst es bei unserer Hochzeit tragen."

Nun glitzern Freudentränen in den Augen der Braut. Während der Bräutigam in die Kirche eilt, nimmt sie den Arm ihres Vaters und macht sich bereit.

*

Die Angestellte des Juwelierladens hatte sofort die Polizei gerufen, als sie ihren Chef in einer Blutlache auf dem Boden liegend vorfand. In seiner Brust steckte ein Brieföffner, der genau das Herz getroffen hatte; sein diamantenbesetzter Griff glitzerte in einem verstreuten Sonnenstrahl.

Die eintreffenden Beamten konnten nur noch den Tod feststellen.

Der Morgen danach

Helga Rougui

Heute im Morgengrauen – mein allererster Termin: Frühstücksgericht.

Ich seufze. Es ist nicht so, wie man denken könnte.

Meine Vision von frischen Brötchen mit goldgelber Orangenmarmelade, Rührei von glücklichen Eiern, Frühstücksspeck von knusprigen Schweinen und sahnigem Porridge verblaßt sofort, als ich die Küche betrete und mich schlechten Gewissens an der geräumigen Ikea-Fichtenholz-Speisetafel niederlasse.

Mir gegenüber: der Gott der Vernünftigen Ernährungsweisen, flankiert von den Erzengeln der Nüchternheit und Mäßigung, als Zeuge sind der Wächter des Weges Zur Hölle Ist Mit Guten Vorsätzen Gepflastert sowie das Schwarze Biest der Unkontrollierten Muffinsaufnahme geladen. Ich vermute, die anderen Zeugen, deren Namen mir momentan partout nicht einfallen wollen, warten hinter dem Vorhang, der gnädig die Exzesse des letzten Abends verhüllt.

"Angeklagte."

Ich schrecke hoch. Das bin ich, keine Frage.

Und ich kenne meinen Text, versuche das Verfahren abzukürzen.

"Ja, hier, anwesend. (Und wie. Vermutlich zwei Kilo zugelegt seit gestern.) Ich bekenne mich schuldig im Sinne der Speisekarte. Nach gehaltvollem, aber übersichtlichem Frühstück gingen angesichts des Backfischs am Mittag und ab da die Pferde mit mir durch. Alles, was folgte, nahm ich nicht aus Hunger, sondern aus reiner Lust und Gier zu mir. Anschließend hatte ich die ganze Nacht Magendrücken und ein mulmiges Gewissen. Ich will es nie mehr wieder tun."

Der Gott verdreht die Augen, bis man das Weiße sehen kann. Sieht aus wie Blaubeeren in Sahne, denke ich noch, bevor er mich anherrscht, mich zu konzentrieren.

Was ich nicht kann und nicht vorhabe. Ich habe heute nacht schon genug mit mir gehadert und mich gefragt, warum ich angesichts eines Haufens ungesunder Lebensmittel regelmäßig die Beherrschung verliere, anstatt die turmhohen Gebirge aus ungutem Essen einfach links liegen zu lassen.

Kannst du ein Problem nicht lösen, so löse dich vom Problem. Als erstes müßte ich da wohl den Kühlschrank abschaffen.

Gedankenverloren gehe ich, öffne seine Tür und hole mir ein Joghurt, nicht fettarm, nicht ohne Zucker, dafür nur ein Prozent Erdbeeren und reichlich zerdrückte Maikäfer. Ich ziehe die Alulasche ab, versenke meinen Löffel, hm, schmeckt nicht. Egal.

Die Jury hat sich nach oben auf den Küchenschrank verzogen. Die Stimme des Gottes dringt von weit her in mein Bewußtsein.

" ... demonstriert uns die Angeklagte gerade in augenfälliger Weise höchstpersönlich den Prozeß ihrer Selbstenthemmung ... das Strafmaß sollte daher die niedrigste überhaupt denkbare Wasser-und-Brot-Ration ..."

Was, was, was? Wer bin ich denn, daß ich mich hier am frühen hungrigen Morgen von einer Bande ungerufener und selbsternannter Tugendwächter schurigeln lasse?

Ich hab jetzt mal Appetit auf Spiegeleier mit Toast und ein Wurstebrot.

Über die vergangenen Untaten und das neue Leben danach können wir reden, wenn ich satt bin. Und keinen Moment eher.

 

Die Queen in Bömighausen?

September 2022. Ich sitze gemütlich bei schönem Sonnenschein auf der Bank nahe der Neerdar und warte auf mein AST-Taxi, als plötzlich ein mittelgroßer SUV vor mir hält. Ein Mann springt heraus, er hat ein Aufnahmegerät umhängen und ein Mikrofon in der Hand, ein zweiter folgt mit einer Panasonic HC-MDH3 Full HD Schulterkamera. Die beiden nähern sich meiner Bank und bauen sich vor mir auf.

- Guten Morgen. Wir sind von der WLZ. Sie sind ein Einwohner dieses Dorfes?

Als ich nicke, fährt der Reporter fort:

- Sagen Sie, wann war die Queen in Bömighausen? Wir wissen aus sicherer Quelle ... - also, wann war sie hier?

Was für eine Frage. Ich habe keine Ahnung. Wenn ein solcher Besuch je stattgefunden hat, dann vor meiner Zeit als Dorfbewohner, also vor 2019. Aber meine Ahnungslosigkeit war mir noch nie ein Hindernis. Und aus gegebenem traurigen Anlaß habe ich die letzten Tage die Fernsehsendungen über sie fast alle gesehen.

Ich beginne also:

- Tja, was soll ich sagen. Die Queen war einfach eine tolle Frau. Eine vollendete Lady. Hier, wo ich jetzt sitze, saß ich damals auch, vor etwa ... hmm ... zehn Jahren, als drei große dunkle Luxuslimousinen vorfuhren. Ernste, muskulöse Männer mit Sonnenbrillen saßen in der ersten und der dritten, in der zweiten saß eine kleine weißhaarige Frau mit einem zitronengelben Hütchen und in einem froschgrünen Kostüm, neben ihr ihre schwarze Launer-Handtasche und ein elegant gekleideter dürrer Gentleman, der Prinzgemahl. Die Queen schaute aus dem Fenster, erwartete wohl eine jubelnde Menschenmenge zu sehen, aber da war nur ich auf dieser Bank.

- Und? Was hat sie gemacht? Ist sie ausgestiegen? Hat sie gesagt, was sie hier wollte?

Ich überlegte blitzschnell. Was hätte die Queen in Bömighausen wollen sollen - wäre sie je hier gewesen? Ich für mein Teil war ja auch erst drei Jahre in Bömighausen ansässig und nachdem das einzige Gasthaus ein halbes Jahr nach unserem Zuzug wegen Corona geschlossen hatte, konnte ich schlecht behaupten, sie sei wegen der Partymeile hierher gekommen.

Aber halt - eigentlich war sie doch eine bodenständige Person gewesen, die, so sagte man, das Landleben geliebt hatte und Pferde und Hunde sowieso.

Also weiter.

- Ja, stellen Sie sich vor, das hat sie tatsächlich. Als sie ausgestiegen war und ich noch im Hofknicks verharrte, stellte sie Fragen zu den Einwohnern, wieviel Bauernhöfe es gäbe, zu deren Viehbestand, zu den Ferienhäusern (ich hoffte innig, daß sie vor zehn Jahren schon dagewesen waren), wohin der Fluß fließe, ob es Schafe gebe, wann das Gasthaus geöffnet sei, wie gut besucht der Campingplatz sei, ob es weit bis zum Wald wäre ...

- Also zeigte sie Interesse -

- ... für ein gemütliches, typisches, ruhiges, idyllisches deutsches Dörfchen, ja. Und nach unserem Gespräch und nachdem ich sie zum nächsten Kartoffelbraten eingeladen hatte, fuhr sie bestens gelaunt mit ihrem Ehemann davon, zum Abschied dreimal laut hupend ...

Da - es hupte schon wieder, dreimal, drängender.

Ich schreckte hoch - keine Queen, keine Reporter, kein Prinz Philipp, kein SUV.

Dafür stand das AST-Taxi da, und der Fahrer rief:

- Na, wie isset nu? Kommense oder kommense nich, Frau Waste?

Es war wohl doch etwas zu viel Staatstrauer-Fernsehen gewesen in den letzten Tagen ...

 

©Helga Rougui

Die Prinzessin, die Hexe, ihr Keiler und die zwei Wünsche

Es war einmal eine niedliche, blondgelockte Prinzessin.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, war sie blondgelockt an den Tagen, an denen die Zofe ihr die Blondieperücke aufs kahle Haupt drückte. Heute war nicht so ein Tag. Also:

Es war einmal eine rassige, schwarzmähnige Prinzessin.

Aaah ja.

Jeder, der sie an diesen Tagen sah, dachte, wie kommt denn das, das ist doch wie verflixt, war sie nicht gestern noch blond, und ach manno, was ist sie bezaubernd, aber die Haare sind zu schön, um wahr zu sein.

Ob blond, ob braun, der Frau ist nicht zu traun, ob blond, ob schwarz, ihr Herz ist wie aus Harz. Harz zu Gold ist keine Hexerei, man muß nur den richtigen Spruch murmeln und mit etwas Charisma salzen. Wichtiger als alles Gold aber ist, zu wissen, wer man ist.

War die Prinzessin blond-, so hatte ihr Herz die Farbe von Butterkaramel, war sie schwarzhaarig, war es wie roter Stahl.

An den Tagen, an denen die Prinzessin blondgelockt war, lag sie den ganzen Tag auf schwellenden Samtkissen in ihrem räucherkerzengeschwängerten Boudoir, fühlte sich wohlgemoppelt, zog sich Trüffel- Maracuja-Pralinen rein, guckte "Anna und die Liebe" in Endlosschleife und süffelte Wodka-Sahne-Shakes, bis sie glaubte, Anna hätte einen Zwilling oder auch zwei, macht vier, und ne Praline fürs Getier.Lirumlarumlöffelstiel, sangen die Fettröllchen und wabbelten lustig, lirumlarumlöffelstiel, ob alt, ob jung, sie frißt zu viel.

So war es hin und wieder bitter nötig, daß die Prinzessin die Perücke und somit das Programm wechselte, um nicht als dreidimensionale Vollkugel durch die Gegend zu rollen.An den Tagen nämlich, an denen sie die schwarze Mähne trug, ließ sie einen ihrer feurigen Araberhengste – mit Mähnen gleich der ihrigen - satteln und preschte im Schweinsgalopp querfeldein über Stock und über Stein.Sie durchritt sonnengrünflirrende Wälder, die schmalen Fesseln ihres Pferdes wühlten den Grund glasklarer, eiskalter Quellflüsse auf, und manch heimliche Lichtung wurde von ihr entheimlicht.

Sie ließ ihre Perücke im Wind flattern und genoß tief durchatmend die herrliche Natur und ertüchtigte sich und fühlte sich frei von der Herrschaft der Pralinen und saß ungeheuer selbstbestimmt und durchtrainiert im Sattel - und das Wichtigste war: sie nahm bei jedem Kilometer ein ganzes halbes Pfund ab. Es existiert keine Frau auf Erden, die jetzt nicht zu rechnen anfinge: wieviel Kilometer muß ich reiten, um sagen wir mal 15 Kilometer … äh … Kilogramm zu verlieren?

An guten Tagen, wenn die Prinzessin mathematisch nicht vernagelt war, kam sie sogar zu einem Ergebnis.

Eines Tages während eines solchen Ausritts traf sie auf eine Hexe.

Genauer gesagt, die Hexe traf auf sie.

Als die Prinzessin gerade an einem Wäldchen vorbeigaloppierte, schoß sie wie eine Kanonenkugel aus dem Unterholz heraus und dem edlen Roß nebst seiner erlauchten Reiterin genau vor die Füße.

Dort lag sie und krümmte sich, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, denn der Hengst bäumte sich hoch auf und zeigte alles, was er hatte. Pferd bleibt Pferd.

Die Prinzessin wiederum konnte ihre Fähigkeiten, mit Zaum und Zügel umzugehen, zeigen – schon nach ein paar Augenblicken hatte sie das Tier beruhigt, so daß sich die Hexe aus dem Staub zusammenkrabbeln und auf die Füße stellen konnte.

"Wo isser?", murmelte sie, sich Erdklümpchen aus den Klamotten und Blättchen aus dem Pony klopfend, und dann wandte sie sich der zukünftigen Landesfürstin zu und nuschelte:

"Euer Durchlaucht, Ihr sitzt sozusagen exponiert, würdet Ihr wohl gnädigerweise einmal in dieses Buschwerk hineinlugen? Ob Ihr dort irgendeine Bewegung im Unterholze wahrzunehmen die Güte hättet?"

Die Prinzessin überging die Frage, wie das ihre Art gegenüber allem war, was räumlich wie gesellschaftlich unter ihr stand, und bemerkte:

"Wenn ich Euch so ansehe – seid Ihr das, was ich glaube, daß Ihr seid?"

"Was glaubt Ihr denn, daß ich bin?"

Auch diese Frage überging die Prinzessin und befahl:

"Kommt mit mir, meine blonde Schwester wartet im Schloß und möchte mit Euch sprechen."

(Die Prinzessin hatte manchmal Anwandlungen von Persönlichkeitsspaltung, und das lag an ihren beiden Perücken, die ihr suggerierten, sie sei, wenn sie sie jeweils trug, jeweils eine andere.)Das Schnaufen und Tröten und Trampeln, das während dieser Unterhaltung immer lauter und lauter geworden war, brach nun plötzlich in Gestalt eines riesigen schwarzen borstigen, sehr widerborstigen Keilers aus dem Unterholz. Dieser stoppte mitten aus seinem rasenden Lauf heraus millimetergenau vor der Hexe und blies ihr schweratmend einige feurige Knoblauchdämpfe ins Gesicht. Und grollte sie an:

"Du weißt genau, daß ich Knoblauch hasse! Wieso tust du Knoblauch an die Spaghetti Carbonara???" "Das heißt Spaghetti ALLA Carbonara", korrigierte die Prinzessin mechanisch, "und wer seid Ihr?"

Inzwischen fand sie, daß der Wald heute sehr gut besucht zu sein schien – oder wars das jetzt gewesen?

"Da kommt nichts mehr", antwortete die Hexe auf ihre unausgesprochenen Frage und bewies so, daß sie Gedanken lesen konnte und echt war, " es sei denn, mein Gatte hier hat die Spaghetti ALLA Carbonara lebendig gehext, aber wie ich ihn kenne, hat er sich dran totgefressen."Plötzlich fiel ihr was ein.

"Durchlaucht, habt Ihr Kinder?" - und hexte schnell einen Weidenkorb voll Gold mitten auf den Waldweg, "Könnte ich eins abhaben??" Begabte Kinder abstauben bei der schwierigen Nachwuchslage heute, das war doch jetzt gerade in, hatte sie kürzlich gelesen.

Den Zusammenhang zwischen Kindern und Gold verstand die Prinzessin nicht, da sie niemals las, aber da sie ja nie auf Fragen antwortete, enthob sie das auch jetzt einer Antwort.

Sie sagte nur in ihrem Es-wird-gemacht-was-ICH-sage-Ton:

"Folgt mir, alle beide."

Der Keiler schaute seine Frau an und diese blinzelte zurück. Das bedeutete: wenn wir jetzt in unser Hexenhaus zurückkehren, werden wir uns nur darum zanken, wer die Küche aufräumen muß. Besser, wir gehn mit und schau ma ma.

Die Hexe bestieg also ihren Keiler und zockelte hinter dem nervös tänzelnden Rappen der adligen Dame her. Sie alle waren kaum um die nächste Hecke gebogen, als sie spitze Schreie des Entzückens hinter sich hörten und eine helle Mädchenstimme rief: "Hänsel, komm aus dem Gebüsch da raus und guck, was hier am Wege steht!! Wir sind reich!!"

Die Hexe grunzte: "Ach, die hab ich ganz vergessen! Jacob Ludwig Carl kündigte die beiden heute morgen für den frühen Nachmittag an - Wozu? - Er sagte nur, das würde ich dann schon sehen…"

"Egal", knurrte ihr Mann, "jetzt ist der Plot eh für die klassische Sammlung unbrauchbar. Außerdem gibt’s doch, denk ich, neuerdings ein paar modernisierte Versionen…"

Inzwischen war das Trio beim Schloß angekommen.

Die Torwache salutierte unlustig und legte die Armbrust zunächst einmal auf die Hexe an.

Diese wich ein wenig zurück, doch sofort wieder vor, als die stählerne Stimme der Prinzessin erklang:

"Er dummer Kerl, dies sind meine Gäste, so senke er das Gerät" – und dachte beiseite, wie primitiv man doch mit den Untergebenen schwätzen mußte, damit sie überhaupt ein Gran dessen verstünden, was gerade abging.

Hingegen der Torwächter: "Warum redet die Tusse nicht normal mit uns? Ich bin doch nicht blöd in der Birne, immer dieser Mittelalterjargon, der macht mich ganz aggressiv! Revolution!!"

Natürlich verstummte er wie stets im Moment des Aufbäumens ziemlich abrupt, als der zwar sehr fest neben dem Tor angebundene, jedoch zu mancherlei Kehllauten fähige Hausdrache ein mißbilligendes Schnauben von sich gab.

Er senkte die Waffe, versank in eine tiefe Verbeugung und murmelte:

"Willkommen daheim, edle Prinzessin!"

"Danke, unedler Wachmann,"summte diese wohlgelaunt zurück, "führe er mein Pferd und meine Perücke in die Stallungen und mache er sich vom Acker, aber geschwind."

Hocherhobenen, glatzköpfigen Hauptes schritt die Prinzessin durch die marmornen Gänge des Schlosses, hinter sich im Schlepptau die beiden Zauberwesen, die sich inzwischen wie Ertrinkende aneinanderklammerten, schienen sie doch angesichts der Armbrust ihre einst geschworene eheliche Liebe spontan wiederentdeckt zu haben. Sie betrat das von einem gutgenährten Feuer erwärmte Boudoir, ließ sich – immerhin hatte sie sich heute einige Kilos auf ihrem Edelpony abgeritten – kühl und dürr auf ihrem Kanapee nieder, griff bereits nach einer der längsten Pralinen der Welt, als sie ihre Kammerfrau mit der frisch gebügelten, blondgelockten Perücke neben dem Möbel stehen sah, und winkte diese ungeduldig wegwegweg.

Sie wandte sich an den Hexer und seine Frau, die inzwischen lauthals zitterten, und sang:

"Manntje Manntje, Timpe Te,

wenn ich Euch beide heulen seh,

dann weiß ich, was ich von Euch will,

ich wünsch mir zwei und Ihr seid still!

Und wenn Ihr mir meine beiden Wünsche nicht erfüllt, du - " und sie piekste mit einem mageren Zeigerfinger durch die Luft in Richtung der Hexe, "und du," und wieder schoß der Zeigefinger vor und spießte diesmal den Hexer auf, "dann schicke ich Euch auf einen eigenhändig von mir errichteten Scheiterhaufen oben auf dem Ruitenberge und lasse Euch braun und knusprig backen und mit Zuckerguß glasieren, denn es ist Martinszeit und einen Weckmann oder zwei hatte ich noch nicht." Die Hexe und ihr schweinerner Gatte weinten laut auf und schworen: "Wir werden alles, alles tun, um Euch zufriedenzustellen, Sagt uns, was Ihr wünscht, und es sei Euer."

Und sie zauberten der Prinzessin jeder einen Wunsch wahr, um danach erleichtert für immer in ihrem Wald zu verschwinden.

Und räumten ihre Küche auf. Und wurden nicht geschlachtet und stritten glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Die Prinzessin aber hatte endlich einen Namen: Pippilotta! - und flocht jeden Morgen ihre 90000 festangewachsenen Haare zu zwei starren, buschigen feuerroten Zöpfen, die ihr rechts und links vom Kopf abstanden. Mit ihrem eigenen Namen und ihren eigenen Haaren würde sie endlich aus dem engen Schloß ausbrechen und die weite Welt erobern. Kleiner Onkel wartete schon.

 

 

Biker und Beeren - Weekend in Willingen

Einen kurzen Moment an diesem Freitagmorgen denke ich, ich bin auf der Isle of Man, mitten in der Irischen See, kurz vor dem Tourist Trophy Rennen, dem gefährlichsten Straßenrennen der Welt.Aber die drei chromblitzenden Harleys neben meinem Auto stehen sanft und still verteilt über zwei Parkplätze vorm Rewe Willingen, geballte Motorenkraft, die schläft.Es ist Harley Davidson Wochenende. Die Bike Week Willingen ist das größte Harley-Treffen der Welt ... okay, da sind noch Hamburg und Faak ... also - das größte Harley-Treffen zwischen Nordsee und Kärnten.

Sage Motorrad - und du denkst monumental.

Immer die Harley, die der Biker grad fährt, ist die beste Maschine der Welt.

Die Konkurrenz schläft zwei Campingplätze weiter in Vöhl-Herzhausen - das jährliche Edersee-Goldwing-Treffen versammelt 220 Clubmitglieder mit ihren Goldwings, den besten Maschinen der Welt.

Von Samstag vormittag bis in den späten Nachmittag hinein dröhnt die Bundesstraße oberhalb meines Dorfes. Schwungweise flitzen sie vorbei, die Biker. Auf die Entfernung kann man mit bloßem Auge nicht erkennen, welche Modelle unterwegs sind. Fachleute unterscheiden natürlich nach dem satten Sound, den die Maschinen veranstalten. Das Geräusch erinnert mich wieder an das TT-Rennen auf der IOM - es klingt in meinen Ohren besser als das Rumpeln der LKWs und Sattelschlepper in der verkehrsberuhigten Vorstadtstraße, in der ich bis 2019 wohnte.

Im Rewe sehe ich - es ist endlich Juli. Johannisbeeren, Stachelbeeren, Erdbeeren. Ich wollte eigentlich nur schnell ein Toastbrot holen ... aber da fällt mir ein - ich brauche sie nicht zu kaufen, die Beeren, ich habe zwei Johannisbeersträucher rot, einen Strauch Johannisbeeren schwarz und einen Strauch rote Stachelbeeren in meinem Garten.

Ich ziehe an den Beeren vorbei Richtung Brotregal und fasse einen Plan.

Ich bin, das muß ich zugeben, nicht so sehr der Outdoor-Mensch. Fehlende Mobilität und die Mühsal, einen sehr schweren Körper herumzuschleppen, vereinigen sich. Ich bin sehr stolz darauf, daß ich es schaffe, selbst im Rewe einzukaufen. Auf diese Weise kann ich vor Ort alles ansehen und entscheiden, was ich möchte und was nicht, und zudem den ganzen nutzlosen Quatsch kaufen, den mir mein Mann dank seiner gezielt-effektiven männlichen Einkaufsstrategie niemals mitbringen würde.

Zurück zu den Beeren. Um an meine vier Sträucher zu kommen, muß ich an den Mülltonnen vorbei ein Stück über die vordere Wiese rollen. Der Rollator ist dank einer unfreundlichen Hüftarthrose mein ständiger Begleiter. Für grasknubbelige Wiesen ist er eigentlich nicht geschaffen, und dementsprechend langsam komme ich voran. Ich fluche leise, wenn mir der Schmerz ins abgewetzte Gelenk schießt - ich hätte eine Schmerztablette nehmen sollen.

Der erste Strauch ist einer der beiden roten Johannisbeersträucher. Er hängt übervoll mit kleinen roten Perlen. Nun fängt die Abzupferei an, für die ich im Grunde überhaupt keine Geduld aufbringe. Der Zweig, an dem die reichste Beute baumelt, ist natürlich am weitesten von mir entfernt. Mit einer meiner Krücken könnte ich ihn zu mir heranziehen, aber die stehen im Haus, und ich habe nicht den Nerv, über die Wiese hin und zurück zu hoppeln, um sie zu holen.

Ich zupfe weiter. Plötzlich erscheint die Nachbarin, wir begrüßen uns, und dann hat sie, in Gartenangelegenheiten erfahren, eine blendende Idee.Anstatt einzelne Beeren zu zupfen, warum nicht die ganzen Zweige abschneiden? So kann man sich beim Abzupfen gemütlich an den Küchentisch setzen, und gleichzeitig wird der Strauch ausgedünnt, so daß er im nächsten Jahr prächtiger denn je wiederauferstehen wird.

Sie kommt also rüber mit ihrer Gartenschere und macht sich ans Werk. Wir teilen uns die Beute - es sind viele. viele Beeren, und es scheint, als wisse meine Nachbarin genau, was sie damit anstellen wird. Wir sind ungefähr gleich alt, und ich habe im Gegensatz zur ihr überhaupt keinen Plan diese Dingerchen betreffend - außer sie zu essen natürlich.

Die Sonne ist inzwischen herausgekommen, es beginnt warm zu werden - zu warm für unsere alten Knochen.

- Jetzt koch ich mir erst mal einen Kaffee, sagt sie, bevor sie geht.

Und ich bedanke mich und denke, gute Idee.

Und versäume die Gelegenheit, sie zu fragen, ob wir ihn nicht zusammen trinken wollen, diesen Kaffee.

Auch wenns in meinem Fall eher ein Täßchen Tee wäre.

 

 

 

 

 

Helga Rougui

"Ich ging im Walde so für mich hin ..." - was Goethe im Sinn hatte, als er durchs Unterholz schlich, können wir ihn nicht mehr fragen, denn er ist tot - ich bins (noch) nicht, und wer Fragen zu meinen Geschichten hat oder sich vielleicht allgemein übers Schreiben austauschen möchte, der oder die sei herzlich eingeladen, mir zu schreiben:

Helga Waste Rougui

Am Berghof 6

34508 Willingen

Mail an mich....

Und nun die Juni-Geschichte:

Bukowski

Bukowski ist mein Nachbar. Er heißt nach dem berüchtigten Underground-Dichter - warum, liegt auf der Hand, wenn Sie ihn näher kennen.

Wir sitzen in der Blende in D...dorf-Bilk, Micha "Mikey" und ich. Draußen regnets, es ist fast Mitternacht. Bukowski kommt rein, pitschnaß, latscht an unseren Tisch und stiert mich an, als ob ich wissen müsse, was er von mir will. Er schwankt ein bißchen, das ist normal, wirkt insgesamt etwas verbeult, ebenfalls normal. Auch hat er seine Zigarette nicht ausgemacht. Maria, die Wirtin, guckt rüber - als sie sieht, es ist Bukowski, klappt sie den Mund wieder zu - alles normal. Bukowski stiert mich an. Mikey feixt. Wir schweigen ne Weile. Ich sag bißchen undeutlich Bukowski setz dich erst mal du tropft in mein bier wasnlos was guckst du so Bukowski wirft die Kippe auf den Boden, drückt sie mit dem Absatz aus, nimmt mein Bier, trinkt es auf ex und schweigt. Micha umschließt sein Bierglas fest mit beiden Händen. Dann nach ner Weile merkt Bukowski, daß er Michas Bier nicht kriegen wird, und sagt: "Ey Daniel, ich hab ne Wette gewonnen. Aber so RICHTIG, ja. Du glaubst es nicht - zwei Millionen Euro. Bar auf die Kralle. Nä nä nä." Er klopft auf seine rechte, ziemlich ausgebeulte Jackentasche. Was hat er da drin - ne Melone? Endlich setzt er sich auf den dritten freien Stuhl, stützt die Ellbogen auf den Tisch und hält sich den Kopf mit beiden Händen, als ob er Angst hat, er werde ihm abfallen, der Kopf, wenn er ihn losließe. Ich befinde mich scheints in einer etwas schwierigen Ausdrucks- und vor allem Begreifphase - daher ist meine Reaktion erst mal:"Hä?" Micha feixt, hält sein Bier weiter fest - man kann nie wissen - und kapiert noch weniger als ich. Bukowski dreht sich zur Wirtin um und ruft, während er in seiner Jackentasche rumnestelt wie Bilbo, der nach dem Ring fingert:"Eine Maaaagnum Champagner, aber dalli!" In der Kneipe wird es totenstill. Jetzt beginne ich zu begreifen, daß Bukowski keinen Witz gemacht hat. Ich rufe - wie ich meine - geistesgegenwärtig hinterher: "Warn SCHERZ Maria!" - und alle, die die Luft angehalten haben, atmen aus, die Gespräche setzen wieder ein, Maria hat sowieso nichts gehört, weil sie grad mit dem Kopf unterm Tresen steckt - wieder irgendwas mit der verfickten Cola-Zuleitung, meine Güte wer trinkt schon Cola - Moment wo war ich? Ich mache zu Bukowski Schschschschhhhhh bist du plemplem - sei leise Mann und nimm die Finger aus der Tasche. (Nur nicht auffallen im Gasthaus Zum Tänzelnden Pony.) Komm Buko wir trinken erst mal nochn Bier - und dann erzähl. Das Bier kommt, wir trinken, Bukowski erzählt: "Gerade eben, gegen elf, ich komm ausm Uerige und geh da so Richtung Rheinufer, da komm ich an diesem kleinen Shisha-Bistro vorbei, Kasbah heißt das glaub ich, und plötzlich fliegt da einer durch die Tür raus aufs Pflaster direkt mir vor die Füße. Ein Scheich. Ich denk so, tolle Verkleidung, sieht richtig echt aus, alles dran, Schleier, Burnus, und dieses schwarze Kordelding, das den Schleier auf dem Kopf hält. Einen schwarzen Rauschebart hat der auch, wie der Prophet persönlich, war aber nicht so nüchtern wie der Prophet, das war mal klar. Er krümmt sich ein bißchen, und ich helfe ihm auf. Nicht ganz leicht, so sicher war ich auch nicht mehr auf den Beinen. Wir klammern uns schwankend aneinander, landen erst mal wieder in ner Pfütze, ziemlich feuchte Angelegenheit. Es dauert was, bis wir dann aufrecht stehen, und der Scheich sagt ziemlich polyglott und eloquent:- Du bist - du bist - der erste nette Mensch hier in diesem Kackdorf - da regnets eher in der Wüste als daß einem in diesem Land mal einer hilft, ohne gleich was dafür haben zu wollen oder nen Vortrag zu halten -Ich sage leicht mäandernd: - Ich hab nix für und trag nix vor - und dann schießt mir plötzlich wie ein Blitz ein Gedanke durch den Kopf: - ... und im übrigen hats grad geregnet in deiner Wüste, Kumpel. Der Scheich guckt wie ein Ferrari vorm Start, gluckst vor Lachen und entgegnet: - Ha ha, nie und nimmer - wetten, daß nicht? Und ich: - Ha ha, ganz sicher - wetten, daß doch? Um wieviel? - Um 2 Millionen Euro - mehr hab ich nicht dabei. Ich sage okay, kein Problem für mich. Ja ja, Wettschulden sind Ehrenschulden. Woher soll ich 2 Millionen Euro nehmen im Fall, daß ich verliere? - was einigermaßen wahrscheinlich ist?Das kratzte mich aber grad nicht so - weil n bißchen blau war ich natürlich auch - und ich dachte mir, wenn es hart auf hart kommt, laufe ich immer noch schneller als der Wüstenfürst in seinem bodenlangen Kleid. Also wir zurück ins Bistro. An den Wänden, aufgereiht wie Zimmerpflanzen, ne Menge Bodyguards, und die waren nicht im Kostüm, sondern berufstypisch hammerpraktisch gekleidet. Sie sahen aus, als ob sie nen guten Sprint hinlegen könnten, wenns drauf ankäme. Ich schluckte. Der Scheich sagte dem Chefscheich - äh dem Wirt - er möge den Fernseher anmachen. Satellit - kein Problem - Al Jazeera English - es liefen grad Nachrichten, dann der Wetterbericht -und was soll ich euch sagen -Bukowski hebt sein Bier, trinkt, und fährt fort:- ... es hatte geregnet in der Wüste! Der Rest war schnell erzählt. Der Scheich, im Gegensatz zu Bukowski ein Ehrenmann, setzte seine Übermacht an Bodyguards nicht ein, um sein Geld zu retten. Und so stolperte Bukowski gegen halb 12 Uhr nachts durch die Altstadt zum nächsten Taxistand, seine Jackentasche ausgebeult von einigen Bündeln 1000 Euroscheinen, und fuhr zur Blende, die ja praktisch unser Wohnzimmer ist. Ein, zwei Scheinchen hatte er aus der Tasche gefischt, um den Taxifahrer zu bezahlen - "stimmt so" - der daraufhin sofort Feierabend machte für den Rest des Monats.

Ja, ja, das Wetter und die Wetter.

Immer für eine Geschichte gut.

 

 

 

Ein Geschichte von früher passend zur aktuellen Lage....

Wer ist der Feind?

Der Herrscher

"Wie können sie uns dermaßen herausfordern, diese Verräter übelster Gesinnung, die ihre Waffen von uns feindlich gesinnten Staaten beziehen?" sagte der König und betrachtete sein Gesicht im Spiegel, während er sich die Hände wusch. "Mit unserem Angriff sind wir ihnen lediglich zuvorgekommen. Wir wollen sie zurück. Sie gehören, gehörten schon immer zu uns. Sie gehören uns. Sie gehören mir."

Er nahm das Handtuch, das ihm ein Lakai reichte, und trocknete sich die Hände. Er verließ das Bad und kehrte in sein Arbeitszimmer zurück, das zu dieser späten Abendstunde seltsam still und verlassen dalag nach all dem Trubel und Kommen und Gehen, nach all den Generälen, Besuchern, Mitarbeitern und Boten, die immer wieder neue Nachrichten von der Front brachten.

Es lief nicht so gut, wie es sollte. Aber er war mit seinen Mitteln noch nicht am Ende. Er verbot sich selbst, allzu oft an seine Geheimwaffe zu denken, den fürchterlichsten feuerspeienden Drachen, den der Teufel je ersonnen hatte - als könne ihn dieses Kreisen seiner Gedanken um ihn vorzeitig zum Leben erwecken.

Er wußte, wenn er ihn weckte, dann wäre es auch um ihn geschehen, dann würde ihm wie allen anderen, Freund oder Feind, das Fleisch von den Knochen gebrannt. Aber das war es ihm wert. Die Feinde würden bis ins Mark getroffen verglühen im Feuer des Untiers, das war das, was zählte, und nichts sonst.

Er setzte sich an den polierten Mahagonitisch, an dem er die Besprechungen abzuhalten pflegte. Ein leichtes Abendmahl war serviert, ein knuspriges, goldbraun gebratenes Rebhuhn mit frischgestochenem Spargel und ein leichter Weißwein. Er merkte, wie hungrig er war, riß einen Schenkel ab von dem Geflügel und biß herzhaft hinein.

Er hatte die Macht. Er würde siegen.

Die Frau

Der Abend kam. Sie stand am Fenster, schaute auf die verlassene Dorfstraße, die sich allmählich im aufsteigenden Nebel verlor, der vom Fluß herüberwehte. Sie wußte, sie wartete vergebens. Seine Gestalt würde nicht aus den weißen Schleiern heraustreten, er würde nicht die Türe öffnen, nicht eintreten in die Wärme der Wohnstube, in deren Kamin ein kleines Feuer brannte.

Sie seufzte, wandte sich dem Herd zu, der in einer Ecke des Raumes stand, rührte die Suppe um. Sie verteilte zwei Teller und zwei Löffel auf dem klobigen Holztisch, der in der Mitte stand, besann sich und nahm einen Teller und einen Löffel wieder fort.

Während sie sich Suppe auftat, murmelte sie: "Er wird nicht kommen. Warum mußte er fort? Ich verstehe das alles nicht. Wird er jemals wieder nach Hause kommen?"

Sie nahm einen Löffel Suppe, schluckte, legte den Löffel wieder hin.

Sie schaute aus dem Fenster.

Der Junge

Es war alles so schnell gegangen. Blitzschnell die Mobilisierung kurz nach Neujahr, als die Welt noch in Ordnung und die Familie zusammengekommen war, einigermaßen gefaßt, wenn auch lange nicht erholt von den Schicksalsschlägen des vergangenen Jahres. Der Tod des Vaters, die Krankheit von Mutters einziger Schwester, die magere Ernte, die kaum das Überleben in der kalten Jahreszeit gesichert hatte, all dies wahrlich kein Grund zum Jubeln. Aber man versuchte durchzuhalten, weiterzumachen, an eine Zukunft zu glauben, wie stets.

Er fror.

Sie hatten einen Graben ausgehoben, sich hinter dem Erdwall verschanzt. Der Feind hatte das gleiche getan, nicht weit entfernt. Heftige Gefechte tagsüber hatten Opfer gefordert. Die, deren Schußwunden zu behandeln sich lohnte, hatte man abtransportiert ins Lazarett.

Er saß da, neben ihm ein Fremder, der ihm in wenigen Tagen zum Kumpel geworden war, beide froh, daß sie diesen Tag überlebt hatten.

"Warum sind wir hier? Was haben die anderen uns getan?"

Das, was sich der Fremde fragte, fragte er sich auch.

Er wünschte, er wäre zu Hause, seine Mutter wartete bestimmt schon auf ihn mit der Suppe.

Sein Kumpel reichte ihm ein Stück Brot.

"Abendessen", sagte er.

Der nächste Tag

Am Abend dieses Tages würde der Junge kein Abendbrot mehr brauchen.

Der Feind schoß ihm um exakt 12 Uhr 47 den Kopf weg.

Gestorben als Held im Dienste des Vaterlandes, würde man sagen.

Geschrieben von Helga Rougui

 

Geschichten die das Leben schreibt...

Pia

Schon mit vier Jahren trug die kleine Pia ihr goldgelocktes Köpfchen hoch. Niemand hatte so schöne blonde Haare wie sie - das sagte ihr ihre Mama immer wieder. Die kämmte sie jeden Tag eine halbe Stunde lang, so daß ihr Haar prächtig glänzte, besonders wenn ein Sonnenstrahl darauf fiel. Mit sieben Jahren lernte die Kleine, wie man sich die Nägel schweinchenrosa lackiert. Auch liebte sie himmelblaue Schleifchen im Haar und froschgrüne Zopfspangen. Man könnte nun meinen, sie benähme sich dabei wie eine zickige Prinzessin – mitnichten, am liebsten tobte sie mit anderen Kindern auf öffentlichen Spielplätzen herum, sie liebte Pferde in natura und als Spielzeug, und natürlich wollte sie später einmal Pferdewirtin werden.

Mit sieben Jahren kam Pia in die Grundschule – für sie ein Grund zu trauern. Es gab keine Ballspiele mehr an der frischen Luft, die Schleich-Pferde setzten Staub an in der Spielekiste, die Puppen tranken alleine Tee. Pia jedoch saß vor ihrem Arbeitsheft und versuchte die Buchstaben zu lesen und zu schreiben, und sie kämpfte mit den Zahlen von 1 bis 10 – und sie fragte sich, was all das mit Reiten und Pferdekoppeln und Sonne und frischer Luft zu tun hatte. Über all den Lernversuchen wurde Pia krank und verpaßte so die Einübung der Zahlen von 11 bis 20 und weitere Schreib- und Leseübungen. In die Schule zurückgekehrt galt sie bei der Lehrerin als dumm, weil sie das wenige. das sie gelernt hatte, bereits wieder vergessen hatte.

Mit acht Jahren wiederholte Pia das erste Schuljahr – kein Grund zur Freude für sie. Sie hatte zwar jetzt eine andere Lehrerin, aber ihr Hass auf Buchstaben und auch auf Zahlen bestand nach wie vor. Auch der Hinweis, daß sie, um Pferdewirtin zu werden, eine Ausbildung brauche, bei der man wenigstens lesen, schreiben und rechnen können müsse, fruchtete nicht. "Dann werde ich halt Floristin", verkündete sie bockig und hoffte so, die Berufsschule zu umgehen. Nach einer umfassenden Belehrung über die Ausbildung zur Floristin und zu noch ein paar anderen Berufen, in denen das Wort "Berufsschule" ziemlich häufig wiederkehrte, verwarf Pia all diese Zukunftsmöglichkeiten und beschloß, Millionärin zu werden. Wie, wußte sie noch nicht.

Ohne richtig lesen, schreiben und rechnen zu lernen, absolvierte Pia in den nächsten zehn Jahren mehr schlecht als recht diverse Grund- und Hauptschuljahre, und manche doppelt. Gleichzeitig entwickelte sie in ihrer Freizeit eine hohe Fingerfertigkeit, was die Bedienung ihres Smartphone anging, und brachte es zu einer gewissen rasanten Meisterschaft beim Durchblättern von TikTok und im Dauergucken von Netflixserien. Dazu kam ihr vollkommenes Aussehen: lange Beine, blonde, lockige Haare, ein Gesichtchen wie ein Engel, ein Mündchen wie zwei Rosenblätter, ein Gemüt wie ein Wattebausch, ein Figürchen wie eine Barbiepuppe – sie eignete sich – da sie weder singen noch schauspielern konnte – perfekt für eine Karriere als Model.

Pia begann nun, für ihre künftige Tätigkeit gezielt zu üben. Da ihr kein Laufsteg zur Verfügung stand, suchte sie eine andere exponierte Lokalität. Jeden Abend traf man sie in den angesagtesten Clubs, in die sie aufgrund ihres Aussehens mit Leichtigkeit hineinkam, und wenn sie – auf dem Barhocker sitzend – ihre langen Beine übereinanderschlug, bekam die Hälfte aller Männer Stielaugen, und die andere Hälfte begann trocken zu schlucken. Pia nippte an ihrem Champagnerglas, und der dazugehörige edle Spender zog sie mit seinen Blicken aus. Auf der Tanzfläche bewegte sie sich mit vollendeter Anmut – sie tanzte stets für sich allein, was ihr eine Aura der Unnahbarkeit verlieh, die sie noch begehrenswerter machte. So erlangte sie eine gewisse Berühmtheit, zumal da sie immer allein in einem Taxi nach Hause fuhr, was die begehrlichen Träume der Verehrer überborden ließ. Pia erhörte niemanden – sie wartete auf den einen, der sie entdecken würde.

In der Zwischenzeit stellte sich heraus, daß Pia bei aller Genügsamkeit nicht von ein, zwei Gläsern Champagner jeden Abend leben konnte. Der Traum, Pferdewirtin zu werden, war schon lange ausgeträumt, und hatte es da nicht mal die flüchtige Idee gegeben, eine Million ihr eigen zu nennen? Nun hatte Pia in ihrem Leben noch keinen Lottoschein ausgefüllt geschweige denn abgegeben – alles, was auch nur im entferntesten mit Zahlen zu tun hatte, wurde von ihr strikt gemieden – und das verringerte ihre Chance auf einen Hauptgewinn beträchtlich. Sie fand einen Job in einem Hundesalon, in dem sie den ganzen Tag ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen konnte. Das Haarekämmen – egal welche – machte ihr einen Riesenspaß, und sie brachte es zu einer gewissen Meisterschaft im Erfinden von Hundefrisurkreationen, die besonders die Damen der Oberschicht als Kundinnen anlockte.

Eines Vormittags, als Pia im Park gegenüber dem Haus, in dem sie ein Appartement bewohnte, ihr eigenes wohlfrisiertes Hündchen ausführte, traf sie auf einen Hundebesitzer, den sie dort noch nie gesehen hatte. Sie kamen über den Mops, den dieser an der Leine führte, ins Gespräch, und Pia dachte gerührt, daß er selber ein wenig wie ein Mops aussehe, niedlich und schutzbedürftig. Wie sich herausstellte, hatte er im Viertel eine Bäckerei aufgemacht, in der er die köstlichsten Torten und exquisites Gebäck herstellte. Für den Cafébereich suchte er noch eine freundliche Bedienung. Daß er für sein Leben eine freundliche Ehefrau suchte, verschwieg er zunächst – das kam erst später zur Sprache, als Pia schon drei Monate bei ihm gearbeitet hatte. Der Bäcker sank also vor Pia auf ein Knie und bot ihr den obligaten Diamantring dar – durch seinen Antrag befreite er sie von sämtlichen Servier- und vor allem Kassiertätigkeiten, deren Ausübung inzwischen bei ihr zu einer tiefen Melancholie geführt hatte, wollte sie doch keineswegs die florierende Entwicklung des Geschäfts behindern, was zu vermeiden ihr aber immer weniger gelang. Im Klartext – Pia konnte immer noch nicht rechnen und würde es nie können. Genau das liebte ihr zukünftiger Ehemann an ihr – daß sie ihr Leben nicht berechnend lebte, dafür aber entzückend unberechenbar, voller sprühender Ideen und eigenwilliger Gedanken, wenn man sie nur mit diesen blöden Zahlen in Ruhe ließ.

Die Hochzeit fand im kleinsten Kreise statt und - wer hätte das gedacht – die beiden lebten glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.

Ach – nur eins noch: nach Jahr und Tag bekamen sie eine Tochter, goldlockig und lieblich anzusehen, die dermaleinst in Harvard Mathematik studieren und dort eine Professur innehaben sollte.

 

Geschrieben von Helga Rougui

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